drummer’s spirit

Es gibt eine „Rhythmische Instanz“, die ganz einfach „stimmt“.

Bei all den unendlichen Möglichkeiten, die wir auf dem Schlagzeug haben, für alle Tempi, für jede Lautstärke, für alle Notenwerte, für alle Tempowechsel, für alle Improvisationen - diese Instanz begleitet alles und ist für alles ausschlaggebend. Ob wir laid back spielen oder bewusst treiben, ob wir ein Solo hinpowern oder Pausen zählen - es gibt ein rhythmisches Kraftfeld, das für alles und für alle Situationen zuständig ist und natürliche Autorität besitzt.

Es ist das „gewisse Etwas“,

was den guten Schlagzeuger, der eher zurückhaltend und wenig spielt, dich aber trotzdem mitreißt, unterscheidet von dem, der viel herumwirbelt - einfallsreich und technisch - dich aber trotzdem eher langweilt. Höchstes Anliegen unserer Lehrer ist es, unsere Schüler auf dieses „gewisse Etwas“ im Unterricht immer und immer wieder hinzuweisen. Es reicht leider nicht, nur „so drauflos“, ohne Plan zu spielen. Der Schüler sollte verstehen lernen, dass alles, was er spielt, eine Aussage hat und Sinn ergeben sollte. Ohne Plan zu spielen, klingt wie: „In mir ist es unaufgeräumt“. Bündeln wir hingegen unsere Gedanken auf unsere Schläge und zentrieren alle Schläge auf eine exakte Ausrichtung, entsteht unweigerlich ein „Strahl“, ein unsichtbarer, aber deutlich spürbarer innerer Kern.

Die Tatsache, dass der Zuhörer diesen Kern spürt

und sich von dem, was wir spielen, angezogen fühlt, oder sogar mitgerissen wird, zeigt uns, dass wir uns jetzt mit unserer Schwingung in die des Zuhörers (oder auch Mitmusikers) eingeklinkt haben. Dieses Eingeklinktsein funktioniert aber leider nur so lange, wie wir in diesem Bewusstsein auch „drin bleiben“. Das heißt, „drauf“ - auf meiner rhythmischen Schiene - bleiben, „drauf“ spielen und in dieser Energie „drin“ bleiben. Aber meistens geht alles tatsächlich - wenn wir als Spieler erst einmal „drin“ sind - völlig leicht und wie von selbst. Der Grund für die Leichtigkeit im Spiel ist die Tatsache, dass diese Art des „Drinseins“ eigene Richtlinien verfolgt und eine Struktur besitzt, die sehr wohl in der Lage ist, die Lenkung unseres Spiels weitestgehend zu übernehmen, weil sie den physikalischen Bahnen sehr ähnlich ist, die entstehen, wenn sich Dinge bewegen.

Aus diesem Grunde ist diese Spielweise auch erlernbar und stellt einen spezifischen roten Faden in den Unterrichtsstunden bei drummers focus dar.

Eine Deckungsgleichheit mit der reinen Physik im Spiel ist sehr wichtig, bedeutet gleichzeitig aber nicht alles. Es ist lediglich ein großer Vorteil, Physik in das Spiel einzuladen, denn mit ihr werden die Energien des Raumes verstärkt und wir bekommen in unseren Schlägen eine deutliche Führung, unerzwungene Wucht und natürliche Zielgerichtetheit. Es entstehen verlässliche Bahnen, an denen wir uns orientieren und festhalten können, obwohl wir die Bewegung selbst loslassen. An dieser Stelle entsteht machtvolle Natürlichkeit, Kraft ohne Muskeln, Intensität ohne Anstrengung und wir erleben die „Dimension Zeit“ in ihrer wahren Natur:

Timing wird zum „räumlichen Ereignis“ und wir beginnen zu begreifen, dass sich Zeit durch den Raum hindurch darstellt und beides fest ineinander greift.

Je intensiver also unsere räumliche Anbindung innerhalb unserer Bewegungen wahrgenommen wird, umso intensiver wird auch unser eigener musikalischer Ausdruck durch den aktivierten Raum vom Zuhörer wahrgenommen und unser Spiel bekommt für Zuhörer und Mitmusiker eine Art „Plastizität“, d.h. es entstehen Schläge, die der Außenstehende förmlich anfassen kann, also „begreift“.

Für uns als Spieler entsteht an dieser Stelle eine zwingende Logik, dem winzigen Punkt der größten Ausdruckskraft im Spiel zu folgen und diesen aufrecht zu erhalten.

Dieser Energiepunkt starker Ausdruckskraft ist physikalisch sehr deutlich direkt in der Stockspitze wahrnehmbar. Über die Stockspitze sind wir mit den Elementen des Raums verbunden und befinden uns definitiv „IN der Zeit“, mit anderen Worten: Wir sind durch räumliche Komponenten direkt mit der Zeit verbunden, die sich über den Raum aus sich selbst heraus und auf ihre spezifische vollkommene Art offenbart, ohne dass wir bemüht sein müssen, unser Timing selbst zu machen, was generell unsere alte Spielweise war.

Das neue Spielverhalten hingegen ist davon gekennzeichnet, dass wir von der Dimension Zeit geführt werden,

somit transparenter und logischer spielen, wenn wir IN der Zeit sind. Dieses „Drinsein“ und Verbundensein mit einem ganz genauen, winzigen Punkt in der unendlichen rhythmischen Palette ist bereits unsere Instanz, die entscheidet, ob es gut und richtig oder schlecht und falsch klingt. Das gewisse „Drinsein“ und „Drinbleiben“ ist wie eine Gratwanderung auf einer senkrecht stehenden Rasierklinge und gibt eben genau diese Konturen im Spiel zu spüren. In diesem Bewusstsein zu spielen, heißt unweigerlich zu der Feststellung zu kommen: Entweder ich bin drin und stimmig, oder ich bin gerade „rausgeflogen“, oder ich war von Anfang an noch nicht drin.

Dieses Bewusstsein ist auf alles anwendbar

und führt in allen Bereichen zu einem natürlich vorgegebenen, vollkommenen Ziel. Der Kopf wird frei, wir kommen in Kontakt mit unseren Instinkten wie Intuition und Ideen, lassen unserer Kreativität freien Lauf und geben dem Gefühl Raum. Wir beginnen an unserer Schule damit, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass es jeweils nur eine (neutrale) Art von bestimmten rhythmischen Notenwerten wie z.B. Sechzehntel gibt, auch nur eine Art von Triolen, eine Art von Achteln und so weiter. An dieser Stelle kommen meistens dann die Einwände der Schüler, ob es das Hauptziel der Schule sei, dass irgendwann - vielleicht in der Oberstufe - alle Schüler gleich klingen!? Antwort: NEIN. Sie werden nicht alle gleich klingen, aber sie werden „stimmig“ klingen, denn es unterscheidet sie immer noch ihr persönlicher Stil, allerdings auf einer Grundlage der allgemeingültigen rhythmischen Stimmigkeit, die bei ihnen, sofern sie hergestellt ist, auch gleich klingt.

Nehmen wir kurz ein Beispiel von drei verschiedenen „Global Heroes“

und stellen wir uns drei sehr verschiedene internationale Drummer der ersten Liga vor: Jeder klingt anders aufgrund seines individuellen Stils. Aber sie haben eines gemeinsam: die Stimmigkeit jedes einzelnen kleinsten rhythmischen Bausteins. Würden beispielsweise alle drei aufgefordert werden, gleichzeitig eine beliebige neutrale rhythmische Sequenz zu spielen, mit der ausdrücklichen Bitte, sie ohne Dynamik und in gleich bleibendem Tempo vorzutragen: Es würden alle drei total identisch klingen! Der Wunsch unserer Lehrer ist es, zu Anfang den Schüler in eine Art makelloses rhythmisches Grundraster zu bringen, wo innerhalb seiner Bewegungen einfach nur ein natürlicher, neutraler und ungezwungener „Pingpong-Effekt“ herrscht. Diesen kann man sich recht schnell erschließen, wenn man bewusst seine zielgerichtete Kraft zuerst einmal aus dem Spiel komplett heraus hält, die Schlagbewegung einer einzelnen Hand in ein perfektes Verhältnis zum Rebound setzt und daran arbeitet, dass beide konträre Energien den Stick perfekt „austarieren“ und wie eine Waage ins natürliche Gleichgewicht bringen.

Hier entsteht beim Schüler oftmals die erste Erfahrung für die oben erwähnten Phänomene einer natürlichen Leichtigkeit, Genauigkeit und Intensität.

Mit etwas Übung erkennt man daraufhin schnell, dass Intensität auch ohne Kraft herstellbar ist und dadurch sogar noch besser wahrgenommen werden kann. Diese erste Genauigkeit, die aus dieser natürlichen Balance heraus entsteht, kann anschließend durch eigenes Zutun nach Belieben treibend oder schleppend gestaltet, mit allen weiteren musikalischen Ausdrucksformen wie z.B. Akzenten, Dynamik usw. versehen, und wenn man seiner selbst sicher ist, auch noch mit Kraft getoppt werden. Der eigene Stil kristallisiert sich im Anschluss an die räumliche Anbindung des Spielers und seiner rhythmischen Stimmigkeit ganz wie von selbst heraus und verhält sich wie ein Bezug und eine Verbindung vom Individuellen zum Universellen. Genau so fühlt ES sich dann an.

Wenn wir in diesem Sinne weiterarbeiten, wird auch die individuelle Improvisation am Ende rhythmisch rein und in sich schlüssig!

Haben wir einmal unsere Gratwanderung in der rhythmischen Mitte im Griff und gelingt es uns auch, über einen längeren Zeitraum hindurch ohne Anstrengung auf das Wesentliche zu konzentrieren und eine Linie aufzubauen, auf der wir drauf bleiben (fokussieren), dann kann es passieren, dass alles wie von selbst geht und wir es nur geschehen lassen zu brauchen, denn: Liegen wir einmal rhythmisch eingeklinkt innerhalb der natürlichen Logik des Raumes, sind in dem Moment auch alle anderen musikalischen Notwendigkeiten ineinander vereint: Timing, Sound, Leichtgängigkeit, Ausdruck, Energie und ein freier Kopf, der zuhören und spontan auf das Bandgeschehen reagieren kann. Wir werden feststellen, dass alles mit allem verbunden ist, dass z.B. Achtelnoten genauso fließen wie Quintolen, dass in dem Moment, während ich ein Stück spiele, auch andere parallele musikalische Bögen rhythmisch überall genau hineinpassen würden. Wenn wir uns deckungsgleich in einem rhythmischen Raster bewegen, haben wir uns wiederum in ein seit ewig vorhandenes Naturgesetz eingeklinkt, welches in Perfektion bereits um uns herum existiert. Alles im Universum ist Schwingung und Rhythmus in absoluter Vollkommenheit, ständiger Wiederholung und Erneuerung.

Der Ablauf eines Jahres besitzt genauso Regelmäßigkeit und Wiederkehr wie der Ablauf eines Tages in seinem speziellen „Groove“:

Der Tag ist wie ein Downbeat mit rechts, die Nacht ist wie ein Upbeat mit links! Lass dich von den Naturgesetzen leiten, die in jeder Bewegung vorhanden sind, dann spielst du genau und natürlich, nicht gekünstelt. Die Qualität und Präzision deiner Deckungsgleichheit mit einem natürlichen, bereits existierenden Raster sind deine Gratwanderung, der Brennpunkt… der focus!

Der focus ist also der winzige Punkt, der - wenn man ihn spürt - das Fenster zum unsichtbaren, neben uns her existierenden natürlichen rhythmischen Pulsieren öffnet, in welchem alle Notenwerte in allen Tempi zur selben Zeit nebeneinander her existieren...

Cloy Petersen
drummer’s focus
(verfasst im November 1988)

df-Logo Classic